Die Biologie-Hausaufgabe – Symptom eines überforderten Systems
Vor wenigen Tagen kam meine 14-jährige Tochter von der Schule nach Hause, sichtbar irritiert und verwundert zugleich. „Papa, schau dir bitte mal meine Hausaufgabe an!“, sagte sie und zeigte mir die Aufgabenstellung auf ihrem Smartphone. Was ich dort las, ließ auch mich sprachlos zurück:
Das Dreckige Dutzend Spiel – Gruppenarbeit
Ihr plant einen Biowaffenangriff auf Wien.
Entwickelt einen Plan, wie ihr möglichst viele Menschen schädigen könnt.
Wo besorgt ihr die Biowaffe?
In welchem Umfeld setzt ihr sie ein?
Welche Sicherheitsvorkehrungen werden benötigt?
Ihr präsentiert mittels PowerPoint eure Ergebnisse.
Möglichst realistisch!!!!!
Zunächst dachte ich an einen schlechten Scherz, doch tatsächlich handelte es sich um eine ernst gemeinte Aufgabe aus dem Biologieunterricht. Der wahrscheinliche Grund erschloss sich mir als Kenner der Materie schnell: Offenbar wollte die Lehrkraft verhindern, dass Schüler*innen die Hausaufgabe einfach von generativer KI wie ChatGPT erledigen lassen – denn Systeme wie ChatGPT verweigern typischerweise Aufgabenstellungen, die illegale oder ethisch problematische Inhalte betreffen. Doch so absurd diese Idee auch zunächst wirken mag, sie offenbart ein tieferliegendes Problem: Klassische Hausaufgaben verlieren zunehmend ihren Sinn, wenn Schüler*innen sie per KI auf Knopfdruck erledigen können. Zugleich verdeutlicht dieses Beispiel, wie unvorbereitet unser Bildungssystem auf die Realität einer KI-gestützten Lernwelt reagiert.
Generative KI verändert das Lernverhalten
Immer häufiger beobachte ich, wie Schülerinnen und Schüler generative KI wie ChatGPT einsetzen, um unliebsame oder repetitive Aufgaben schnell abzuarbeiten. Texte, Aufsätze oder Referate werden von der KI vorgeschrieben, und viele Kinder übernehmen die Ergebnisse kritiklos, weil diese schnell und überzeugend präsentiert werden. Die Folge: Schüler*innen beschäftigen sich immer weniger intensiv mit den eigentlichen Inhalten. Eigenständiges Erarbeiten, Hinterfragen und tiefgründiges Verständnis eines Themas bleiben zunehmend auf der Strecke.
Von grotesken Aufgaben zur Förderung echter Medienkompetenz
Doch können absurde Aufgabenstellungen oder Verbote wirklich eine nachhaltige Lösung sein? Wohl kaum. Vielmehr sollte das Bildungssystem gezielt an die neuen Realitäten angepasst werden. Kompetenzen wie kritisches Denken, die Prüfung und Einordnung von Informationen sowie der bewusste Umgang mit KI-generierten Ergebnissen müssen dringend gestärkt werden. Denn generative KI verschwindet nicht einfach, sondern wird in Zukunft noch deutlich präsenter und leistungsfähiger sein.
Statt KI zu bekämpfen oder mit grotesken Aufgaben auszutricksen, sollten Schulen diese Technologie gezielt und sinnvoll integrieren. Denkbar wären offene Aufgaben, bei denen KI zwar zur Recherche genutzt wird, anschließend jedoch eine kritische Diskussion und eigenständige Einordnung durch die Schüler*innen erfolgen. Alternativen wie mündliche Präsentationen oder projektbasierte Prüfungen könnten die eigenständige Auseinandersetzung fördern und zugleich den kompetenten Einsatz von KI vermitteln.
Ein zentraler Schlüssel liegt dabei in der systematischen Förderung von Medienkompetenz. Schüler*innen sollten lernen, KI-generierte Inhalte kritisch zu hinterfragen und mit zusätzlichen Quellen zu vergleichen. Diese Kompetenz, KI-Antworten eigenständig auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und kontextuell einzuordnen, könnte entscheidend für die erfolgreiche Nutzung von KI im Bildungsbereich sein.
Interessante weiterführende Links
- Hälfte der Schülerinnen und Schüler hat schon mal ChatGPT genutzt
Eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom zeigt, wie verbreitet die Nutzung von ChatGPT unter Jugendlichen bereits ist – und dass viele Schüler:innen einen gezielten Umgang mit KI im Unterricht wünschen. - Wie verlässlich ist ChatGPT?
Praktisches Unterrichtsmaterial der EU-Initiative klicksafe, das Lehrkräfte unterstützt, Schülerinnen und Schüler darin zu schulen, KI-generierte Inhalte kritisch zu hinterfragen und deren Verlässlichkeit zu prüfen. - KI-Tools wie ChatGPT könnten bei falscher Nutzung Lernprobleme verstärken
Ein Artikel über eine schwedische Studie, die zeigt, dass eine unkritische Nutzung von KI-Tools langfristig das Lernverhalten und die Denkfähigkeiten von Schülerinnen und Schülern negativ beeinflussen könnte.